Grundlagen der Infrarotfotografie


IR-Fotografie was ist das eigentlich?

Vor und hinter dem sichtbaren Lichtspektrum (also das, welches wir mit unseren Augen wahrnehmen – häufig als VIS abgekürzt) ist noch lange nicht Schluss. Per Definition (nachzulesen in DIN 5031-7:1984-01*) wird der Wellenlängenbereich oberhalb von 780nm als Infrarot (IR, mit weiteren Unterteilungen) und alles unterhalb der Wellenlänge von 380nm als ultraviolett (UV) bezeichnet. Was auf diesen Seiten jedoch eigentlich betrachtet wird, ist streng genommen nur der nahe Infrarotbereich (NIR oder auch IR-A). Im Prinzip wird eine spezielle Aufnahmetechnik genutzt, um den uns sonst verborgenen Spektralbereich sichtbar zu machen. Häufig werden dazu die gesammelten Lichtmengen einer uns bekannte Farbe zugewiesen oder Teile des sichtbaren Spektrums mitbenutzt, so dass es sich schlussendlich meist um Falschfarben-Darstellungen handelt. Dies geht natürlich nicht ohne Nachbearbeitung, aber dazu an anderer Stelle mehr. Je nachdem an welche Person man gerät, sollte man aber mit den Begriffen aufpassen und seine Worte mit Bedacht wählen. Korinthenkacker gibt es genügend. Die Fotografie im nahen Infraroten hat jedoch nichts mit der Thermographie zu tun, Kältebrücken am Haus findet ihr damit also nicht. Hier mal als Vergleich ein so genanntes „Wärmebild“ von mir (die Temperaturskala reicht von blau über rot bis weiß – das entspricht in diesem Fall 22°C bis 35°C):

Dank der digitalen Fotografie ist der nahe Infrarotbereich mittlerweile für wesentlich mehr Nutzer zugänglich, da auf spezielle IR-Filme und deren durchaus schwierige Handhabung verzichtet wird. Nun reicht ein entsprechender Filter und ein bisschen Geduld bis die erste IR-Aufnahme fertig ist. Der für die CCD bzw. CMOS-Sensoren nutzbare IR-Bereich erstreckt sich bis rund 1000nm. Für den künstlerischen Aspekt interessant ist, dass einige Materialen wellenlängenabhängige optischen Eigenschaften besitzen. Das nutzt man dahin gehend aus, dass sich im Vergleich zu der „normalen“ Fotografie im sichtbaren Licht teils völlig andere Motivdarstellungen ergeben. So erscheinen zum Beispiel viele Pflanzenteile weiß. Beschrieben wurde dieses Phänomen anhand von Fotografien durch Robert Wood im Jahr 1910. Es gibt Vermutungen, dass dies nicht die ersten veröffentlichten IR-Bilder sind, aber sei es drum: Der Effekt wurde nach ihm Wood-Effekt benannt. Wer ein bisschen tiefer in die Hintergründe einsteigen und sich nicht durch die Veröffentlichung von Robert Wood aus dem Jahr 1910 quälen will, dem sei die Veröffentlichung von Klaus Mangold aus dem Jahr 2013 empfohlen. Eine seiner Quellen ist eine sehr schöne Publikation von Mecke und Baldwin in deutscher Sprache aus dem Jahr 1937. Da es für die Fotopraxis letztendlich eine untergeordnete Rolle spielt, welcher Übergang Luft Zellwand für die starke Reflexion im infraroten Bereich verantwortlich ist, belassen wir es bei Hinweisen auf Literatur.

*wurde mittlerweile zurückgezogen (Begründung: kein Bedarf mehr)


Welche Rolle spielt das Chlorophyll?

Da es immer wieder einige Diskussionen zur Rolle des Chlorophylls in der Infrarotfotografie gibt, will ich (m)ein Statement hier mal kurz darlegen und auch mit entsprechender Literatur hinterlegen.

Zunächst einmal absorbieren die beiden Chlorophyllarten Strahlung im sichtbaren orange/roten und blauen Spektralbereich [vgl. z.B. Jacobs und Holt, The Absorption Spectrum of Chlorophyll a-Crystals, The Journal of Chemical Physics, Vol. 22, No. 1, 1954] und reflektieren stark im Bereich 500 bis 650 nm. Dementsprechend empfindet das menschliche Auge chlorophyllhaltige Pflanzenteile als grün. Der Chlorophyllgehalt von Pflanzen wird auf Basis dieser optischen Eigenschaften durch Spektralanalysen mit wenigen nm Bandbreite im Bereich bis 750 nm und entsprechenden Algorithmen zur Datenverarbeitung ermittelt. Hartnäckig hält sich, vor allem im Netz, die Behauptung Chlorophyll sei verantwortlich für die Reflexion der infraroten Strahlung. Anbei dazu der Vergleich einer Aufnahme im sichtbaren Spektrum (oben) mit der Aufnahme im nahen Infraroten (unten, Heliopan RG830) von unterschiedlich gefärbten Blättern der Walderdbeere:

Chlorophyll spielt somit nicht die herausragende Rolle für die IR-Fotografie zu der es in Internet-Blogs etc. gerne hochstilisiert wird. Ganz im Gegenteil: Genau wie alle anderen Farbpigmente die normalerweise für die jeweilige Blattfarbe verantwortlich sind, nimmt im nahen infraroten Bereich die Transmission für diese Stoffe zu, d.h. sie lassen diese Strahlung einfach durch. Erst in der Blattstruktur kommt es zur Reflexion an einem Luft-Zellwand-Übergang (häufig wird auch dem eingelagertem Wasser noch eine Bedeutung zu teil). Natürlich ist Chlorophyll in der Lage über den Effekt der Fluoreszenz Strahlung im NIR-Bereich zu emittieren. Dessen Anteil ist im Vergleich zur Reflexion der primären IR-Quelle (meist die Sonne) durch die Blattstruktur allerdings gering und damit irrelevant für die Aufnahmetechnik.

Zugegeben es ist recht schwer überhaupt Literatur (also im wesentlichen Fachpublikationen in wissenschaftl. Journalen) zu finden. Bücher sind zwar schön und gut, haben aber den Nachteil, dass jeder schreiben kann was er will und dies einfach veröffentlicht wird. Wissenschaftliche Paper müssen zumindest in der Community gereviewt werden. Leider beschäftigt sich ein Großteil der jüngeren Abhandlungen aber eher mit der Anwendung im Bereich Kriminologie, Geologie, Landwirtschaft, Simluation von Pflanzenwachstum etc. und weniger mit Vorgängen innerhalb der Blattstruktur.

R. Mecke und W.C.G. Baldwin, Warum erscheinen die Blätter im ultraroten Licht hell?, Naturwissenschaften, Vol. 25(20), S. 305-307, 1937.

Eine der älteren, aber durchaus guten Publikationen ist der bereits zuvor im Tutorial erwähnte Artikel von 1937. Dort wird anhand von 100 fotografierten Blättern (auch chlorophyllfreie) beschrieben, dass bei allen Pflanzenfarbstoffen oberhalb einer Grenzwellenlänge zu Transmission kommt und somit auch rote, gelbe und was weiß ich wie gefärbte Blätter in der Infrarotaufnahme hell erscheinen. Ist meiner Meinung nach eine gute Referenz, da einige ja immernoch glauben, es würde alles am Blättgrün liegen. Zum Schluss wird noch eine Gegenüberstellung eines normalen und eines mit Wasser gefüllten Blattes dargelegt, was recht interessant ist, da wasserinfiltrierte Blätter in der IR-Aufnahme weniger hell und dafür durchsichtig erscheinen.
 http://link.springer.com/article/10.1007%2FBF01491748

E. Knippling, "Physical and Physiological Basis for the Reflectance of Visible and Near-Infrared Radiation from Vegetation", in: Remote Sensing and Environment, Bd. 1, S. 155-159, 1970.

Ist so eine Art Übersichtspublikation in der einige ältere Erkenntnisse dargestellt werden, u.a. das weder das Vorhandensein, noch das Fehlen von Chlorophyll eine Rolle spielt und ferner wird mit zwei Diagrammen die Reflexion im Blatt für den dehydrierten und wasserinfiltrierten Zustand gezeigt.
 https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0034425770800219

J. Woolley, „Reflectance and Transmittance of Light by Leaves“, in: Plant Physiologoical, Bd. 47, S. 656-662, 1971.

Die dargestellten Diagramme finde ich nicht ganz so übersichtlich, aber zum Glück gibts ja noch den Textteil. Der ist wiederum gut gegliedert. Schön ist, dass auch auf den Unterschied zwischen Vorder- und Rückseite eines Blattes eingegangen wird.
 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC396745/pdf/plntphys00184-0062.pdf

M. R. Slaton et al., „Estimating near-infrared leaf reflectance from leaf structural characteristics“, American Journal of Botany, Bd. 88(2), S. 278-284, 2001.
Zitat: „Leaf reflectance in the near-infrared region (NIR; 750–1350 nm) is affected primarily by leaf structure, whereas reflectance in the visible region (400–700 nm) is determined mostly by photosynthetic pigments, and reflectance in the middle-infrared region (1350–2500 nm) by water content.“

Literatur

  • DIN 5030-2 Spektrale Strahlungsmessung: Strahler für spektrale Strahlungsmessungen, Auswahlkriterien
    Hier wird die Einteilung der Spektralbereiche der optischen Strahlung nach DIN 5031-7 tabellarisch wiedergegeben
     https://www.beuth.de/de/norm/din-5030-2/992395
  • Mangold et al., The physics of near-infrared photography, European Journal of Physics, Vol. 34 (6), 2013, p. 51-71
     https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0143-0807/34/6/S51
  • Mangold et al., Rotwein zu Wasser: Infrarotfotografie mit kommerziellen Digitalkameras, Physik in unserer Zeit, Vol. 46 (1), 2015, p. 12–16
     https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1002/piuz.201401375
  • Mecke, Warum erscheinen die Blätter im ultraroten Licht hell?, Naturwissenschaften, Vol. 25(20), 1937, p. 305–307
     https://link.springer.com/article/10.1007/BF01491748
  • Wood, Photography by Invisible Rays, Journal of the Röntgen Society, Vol. 7(27), 1910, p. 51
     https://www.birpublications.org/doi/pdf/10.1259/jrs.1911.0029
  • Photography by Invisible Rays, Artikel in „The Sydney Morning Herald“ vom 5. Nov 1910 sowie im „Northern Advocate“ vom 26. Nov 1910
     https://trove.nla.gov.au/newspaper/article/15164799
     https://paperspast.natlib.govt.nz/newspapers/NA19101126.2.5

Dem interessierten Leser sei an der Stelle auch das Buch von Günter Spitzing empfohlen. Es befasst sich mit den Grenzbereichen der Fotografie: Neben dem theoretischen Hintergrund wird auch die praktische Anwendung von UV-, IR- und Polfiltern umfangreich erläutert. Ein großer Teil des Buches ist nach wie vor noch aktuell und auch die gründliche Einführung in Lichttechnik und Optik ist durchaus interessant.

  • Spitzing, Grenzbereiche der Fotografie – Infrarot, UV, Polarisation, Aufl.: 1.-3. Tsd., Heering Verl., München, 1968